Arbeitszeugnis – ein Auslaufmodell?

von Michael Gross

Wer in Deutschland aus einem Unternehmen ausscheidet, hat Anspruch auf ein qualifiziertes Zeugnis, so will es der Gesetzgeber. Qualifiziert ist es dann, wenn Persönlichkeit, Aufgaben und Verantwortungsbereiche sachlich dargestellt und „wohlwollend formuliert“ sind. Vor allem letzteres ist das Problem. Wenn nur positiv im Zeugnis formuliert wird und die objektive Beurteilung sich hinter standardisierten Floskeln versteckt, damit es im Streitfall vor dem Arbeitsgericht besteht, ist es im Grunde wertlos.

Der Unterschied zwischen wohlwollender und wahrhaftiger Beurteilung ist eine Gradwanderung. Bestimmte Formulierungen haben im Zeugnis oft eine andere Bedeutung als es zunächst den Anschein hat. Wenn bspw. einem Mitarbeiter ein hervorragendes Verhältnis zu Kollegen und Vorgesetzten bescheinigt wird, ist das in Wirklichkeit ein totaler Verriss, weil die Vorgesetzten nicht zuerst erwähnt werden. Kleinigkeiten machen es oft aus! Von Bedeutung ist auch das, was im Zeugnis nicht erwähnt wird. Wenn einer Verkäuferin Ehrlichkeit nicht explizit bescheinigt wird, kann der Rest noch so gut klingen, die Personalverantwortlichen unterstellen in der Regel, dass es Unregelmäßigkeiten gegeben hat. Bestimmte Formulierungen und Auslassungen sind zu einem eigenen „geheimen“ Kosmos mutiert.

Als Beurteilungsinstrument ist das Arbeitszeugnis ein Auslaufmodell. Zeugnisse lenken den Blick auf mögliche Schwächen. Im Bewerbungsprozess kommt es aber auf die potenziellen Stärken des Bewerbers an. Welche Stärken hat er und wie bringt er das Unternehmen weiter. Deshalb greifen Personaler verstärkt zu Referenzen und Empfehlungsschreiben. Referenzen haben den Vorteil, dass wichtige Skills wie Führungsqualitäten, Teamfähigkeit, Loyalität durch den Referenzgeber geklärt werden können. Um die eigene Bewerbung aufzuwerten, sollten Bewerber von vornherein ehemalige Vorgesetzte, Auftraggeber oder Geschäftspartner als Referenzgeber nennen und den Bewerbungsunterlagen bis zu drei Empfehlungsschreiben beifügen. Und wer auf Nachfrage keine Referenzen angeben kann oder will, braucht in jedem Fall eine gute Begründung – da hilft auch kein makelloses Zeugnis!

Kann man auf das Zeugnis in Zukunft verzichten? Klares nein. Ein Zeugnis allein reicht im Bewerbungsprozess nicht aus, aber ohne braucht man sich auch nicht zu bewerben. Für Arbeitsrichter gibt es noch keine Alternative zum Zeugnis.

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