Vorsicht vor dem Ankereffekt!

von Stefan Kosak

Jeder von uns befindet sich täglich in Situationen, in denen es eine Entscheidung oder ein Urteil zu treffen gilt. Häufig bedarf es hierfür einer Einschätzung von Zahlenwerten. Forschungsergebnisse aus der Kognitionspsychologie machen in diesem Zusammenhang deutlich, dass das Zustandekommen unserer Schätzresultate dabei durchaus mit Vorsicht zu genießen ist.

In einem klassischen Experiment wurde den Versuchsteilnehmern durch das Drehen eines Glücksrades zunächst eine Zahl zwischen 0 und 100 zugewiesen. Anschließend sollten die Probanden den prozentualen Anteil der afrikanischen Länder in den Vereinten Nationen abschätzen. Anhand der Ergebnisse dieses Experiments wurde deutlich, dass die Zufallszahl, welche den Probanden anfänglich präsentiert wurde, einen deutlichen Einfluss auf deren Schätzung hatte. So lagen die Schätzungen für den Anteil der afrikanischen Länder bei Probanden, welchen zuvor die Zahl 10 präsentiert wurde, im Mittel bei 25 Prozent. Die Schätzungen der Probanden, welche anfänglich mit der Zahl 65 konfrontiert wurden, lagen dagegen im Mittel bei 45 Prozent.

Diese Ergebnisse bleiben jedoch nicht auf Versuchsbeispiele dieser Art beschränkt, sondern bergen auch für Unternehmenspraxis und Karriere wichtige Implikationen. Vergleichbare Resultate stellen sich etwa auch dann ein, wenn eine Gruppe von Probanden mit der Frage konfrontiert wird, ob ihnen ein bestimmtes Produkt (z. B. ein Kleidungsstück) mehr oder weniger als 50 Euro wert ist, während eine zweite Gruppe von Probanden unabhängig davon mit der Frage konfrontiert wird, ob ihnen dieses Produkt mehr oder weniger als 200 Euro wert ist. Werden beide Gruppen anschließend darum gebeten ein konkretes Kaufangebot für das entsprechende Produkt abzugeben, zeigt sich auch hier, dass die mittleren Angebote der beiden Gruppen signifikant voneinander abweichen, da die Probanden ihre Angebote an den zuvor präsentierten Ankerwerten ausrichten. Die Probanden der ersten Gruppe geben tendenziell niedrigere Angebote ab, während die Probanden der zweiten Gruppe tendenziell höhere Angebote abgeben.

Hinsichtlich dieses Beispiels wird nun deutlich, dass zahlreiche Vorgänge in der Unternehmenspraxis von einer ähnlichen Entscheidungsstruktur geprägt sein dürften. Wird etwa im Laufe von Preis- oder Gehaltsverhandlungen von einer der Parteien ein Betrag vorgebracht, steht dieser fortan als Verhandlungsbasis im Raum. Auch in diesem Zusammenhang muss davon ausgegangen werden, dass dieses erste Angebot für die Verhandlungspartner die Funktion eines Ankerwerts übernimmt und folglich die weiteren Verhandlungen entscheidend beeinflusst. Diesen Umstand gilt es sich gerade für den Fall eines ersten tendenziösen Angebots des Verhandlungspartners bewusst zu machen, um nicht durch den Ankereffekt in eine ungünstige Verhandlungsposition zu geraten und die eigenen Ziele aus den Augen zu verlieren.

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