Holt die Tugenden aus der Mottenkiste – Warum es sich lohnt über Ethik nachzudenken

von Stefan Kosak

Um es ganz offen zu sagen: Auf den ersten Blick sind Tugenden nicht sonderlich attraktiv. Wenn von Tugenden die Rede ist, verbinden wir damit in der Regel überholte Moralvorstellungen oder einen strengen Arbeitsethos. Begriffe wie Loyalität, Anstand oder Beharrlichkeit wirken beinahe aus der Zeit gefallen und entfalten nur wenig Anziehungskraft. Eigentlich müssten wir daher froh sein, dass diese längst in der Mottenkiste gelandet sind. Möglicherweise trügt der Schein aber auch.

Die Rede von den Tugenden hat eine lange Tradition, die bis in das antike Griechenland zurückreicht. Für Denker wie Aristoteles oder Platon waren die Tugenden ein zentraler Bestandteil ihrer ethischen Theorien. Nach Aristoteles sind die Tugenden gerade deshalb von Bedeutung, da sie wesentlich zum guten Leben beitragen. Aristoteles begründet diese Auffassung damit, dass Menschen eine intakte Gemeinschaft benötigen, um ein gelingendes Leben führen zu können. Tugendhaftes Verhalten gegenüber anderen ist somit eine notwendige Voraussetzung, damit das eigene Leben gelingen kann.

Handelt es sich hierbei um eine längst überholte Vorstellung der Antike oder können wir auch heute noch etwas damit anfangen? Bei genauerer Betrachtung wird deutlich, dass die Tugenden nach wie vor in unserem Alltag präsent sind, auch wenn wir nicht explizit davon sprechen. Wenn etwa Kinder von ihren Eltern oder Lehrern dazu angeleitet werden, ehrlich oder großzügig zu sein, so ist damit immer auch die Erwartung verbunden, dass die Kinder von den entsprechenden Charakterzügen im Leben profitieren werden. Die Tugenden besitzen also durchaus Potenzial.

Dies gilt für das Leben allgemein und besonders für die Wirtschafts- und Arbeitswelt. Denn gerade in der gegenwärtigen Phase des Umbruchs rücken wieder Fragen in den Vordergrund, die bereits in den antiken Theorien angelegt sind. Werden diese Theorien nun auf die gegenwärtigen Umstände angewendet, ergeben sich mitunter erstaunlich moderne Einsichten. Mit der Zielperspektive des guten Lebens vor Augen wird Arbeit etwa nicht nur als Erwerbstätigkeit aufgefasst, sondern als bedeutender Lebensinhalt. Die gegenwärtige Diskussion um sinnvolle Arbeit spielt hierauf an. Ein weiterer Bezugspunkt ist die Work-Life-Balance. Wenn das eigene Leben als ein Ganzes aufgefasst wird, gilt es die Einstellungen und Werte, die einem im privaten Umfeld wichtig sind, auch im beruflichen Umfeld zur Geltung zu bringen. In Zeiten, in denen sich viele Menschen angesichts der zahlreichen Anforderungen und Erwartungen überfordert fühlen, scheint die Fokussierung auf beständige Charaktermerkmale eine wertvolle Perspektive zu eröffnen.

Hierdurch ergeben sich auch Implikationen hinsichtlich der Compliance-Bestrebungen von Unternehmen. Wenn die persönlichen Einstellungen über verschiedene Lebensbereiche hinweg zum Tragen kommen, ist davon auszugehen, dass Menschen, die in ihrem privaten Umfeld ehrlich sind, auch in ihrem Arbeitsumfeld ehrlich sein werden. Aus dieser Perspektive wäre es dann entscheidend, dass Unternehmen ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in ihren bestehenden Einstellungen bestärken und weniger auf die Überwachung von Regeln setzen. In diesem Zusammenhang steht auch die Forderung, wonach das wirtschaftliche Handeln wieder von Werten geprägt sein sollte. Dies ruft erneut die Tugendtheorie auf den Plan, da Tugenden und Werte zwei Seiten einer Medaille sind. Wer etwa die Tugend der Ehrlichkeit erworben hat, für den hat die Wahrheit einen hohen Stellenwert. Vor diesem Hintergrund wird nun deutlich, dass es sich lohnt, die Tugenden wieder aus der Mottenkiste zu holen und neu zu interpretieren.

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